25.02.2017
Kalymma 2017. Vom Verhüllen

Zum dritten Mal verhüllen wir den Altar in der Michaeliskirche während der Passionszeit. Es geht um eine Unterbrechung, um ein Fasten mit den Augen. Es geht darum, dass der äußere und der innere Blick gelenkt wird in die Besinnung, in die Meditation, zum Bedenken des eigenen Lebens, zum Nachdenken über falsche Wege und Umkehr.

Michaeliskirche Erfurt 25. Februar bis 13. April 2017 Montag bis Samstag, 11 - 16 Uhr  

In diesem Jahr haben wir die Bildhauerin Julianne Csapo und den Maler Adam Noack dazu gewonnen. Sie arbeiten zusammen in einem Atelier in Leipzig. Hier einige Daten zu ihrem Leben und Schaffen:
 
Julianne Csapo absolviert von 2001 bis 2004 eine Ausbildung zur Holzbildhauerin, 2005-2007 lebt sie  in Dänemark, Schweden und Norwegen, 2007-2013 studiert sie Bildhauerei und übergreifende Medien an der HfBK Dresden bei Prof. Ulrike Grossarth und schließt mit dem Diplom ab. Darauf folgt eine Ausbildungsphase als Meisterschülerin bei Prof. Martin Honert. Ihre Werke waren bisher in Ausstellungen vor allem in Dresden zu sehen.
 
Adam Noack wurde in Duisburg geboren, er studierte von 2007 bis 2013 freie Künste an der Bauhausuniversität Weimar. Studienaufenthalte führten ihn in die USA und nach China. Er wird von der Weimarer Galerie Eigenheim vertreten und gestaltete Ausstellungen in Berlin, Köln und Shanghai. Er lebt in Weimar.
 
Vom Verhüllen und Enthüllen - Worte aus der Heiligen Schrift 
2.Mose 34,29-35
„Als nun Mose vom Berge Sinai herabstieg, hatte er die zwei Tafeln des Gesetzes in seiner Hand und wusste nicht, dass die Haut seines Angesichts glänzte, weil er mit Gott geredet hatte. Als aber Aaron und ganz Israel sahen, dass die Haut seines Angesichts glänzte, fürchteten sie sich, ihm zu nahen.
Da rief sie Mose und sie wandten sich wieder zu ihm, Aaron und alle Obersten der Gemeinde, und er redete mit ihnen. Danach nahten sich ihm auch alle Israeliten. Und er gebot ihnen alles, was der HERR mit ihm geredet hatte auf dem Berge Sinai.
Und als er dies alles mit ihnen geredet hatte, legte er eine Decke auf sein Angesicht. Und wenn er hineinging vor den HERRN, mit ihm zu reden, tat er die Decke ab, bis er wieder herausging. 
Und wenn er herauskam und zu den Israeliten redete, was ihm geboten war, 
sahen die Israeliten, wie die Haut seines Angesichts glänzte. 
Dann tat er die Decke auf sein Angesicht, bis er wieder hineinging, mit ihm zu reden.“
 
Evangelium nach Matthäus 27,46-51 
„Von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Einige aber, die da standen, als sie das hörten, sprachen sie: Der ruft nach Elia.
Und sogleich lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken. Die andern aber sprachen: Halt, lass sehen, ob Elia komme und ihm helfe! 
Aber Jesus schrie abermals laut und verschied.
Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus.
 
„In dieser Kirche gibt es so viele Bilder: die Abendmahls- und Kreuzigungsdarstellung auf dem Altar, die Epitaphien an der Seite, der Grabstein für Johannes Lang und andere Grabsteine, die aufwendig geschnitzten Holzfiguren, die Glasfenster. Wenn es um das Verhüllen geht, dann sollte kein weiteres Bild oder auch Gegenbild in die Kirche kommen, dann geht es um ein Bild ohne Bilder.“ So das Ergebnis von einer Stunde Aufenthalt mit Adam Noack in dieser Kirche und die Vorstellung des Anliegens von Kalymma.
 
Julianne Caspo und Adam Noack verhüllen nun den Altar nicht mit einem Tuch oder einer Leinwand, sondern mit einem Vorhang aus Papier. Der Vorhang wurde von ihnen gewebt aus 400 gleichgroßen Papierblättern. Sie könnten aus einem Buch stammen. Aus dem Buch des Gesetzes, dem Buch des Lebens, der Heiligen Schrift oder dem Buch der Offenbarung  – so die Anklänge.
Sie schaffen einen Vorhang, durch den das Licht hindurchscheint. Das göttliche Strahlen, das Erleuchtende wird so verhüllt und zugleich deutlicher sichtbar. Licht dringt durch das Gitternetz der transparenten Fugen. Licht scheint durch das Papier.
 
400 Blatt Papier, Blatt für Blatt – je ein ausgedrucktes Foto. 
Die Farben: weiß, schwarz, grau.
Die Fotomotive: Papier - zerknüllt, geglättet, übereinander gelegt.
Formen sind zu entdecken: schemenhaft, verhüllt – Hände, ein Mund, ein Gesicht, schwarze Löcher, Landschaften.
 
Ich habe den Eindruck, ich bin ganz nah dran an dem Gegenstand, so dass ich das große Ganze nicht wahrnehmen kann. Oder ich bin ganz weit weg von den Gegenständen. Das geknüllte Papier erscheint wie eine Berglandschaft aus Satellitenperspektive. Ich bin zu weit weg, um erfassen, was wirklich zu sehen ist.
Verhüllen – das geschieht, in dem ich zu weit weg bin oder  zu nah dran – ich habe nicht den richtigen Abstand für das Sehen.
 
Wie kommen die Bilder nun in ihre Ordnung?
Manches passt zusammen, gehört zusammen, manchmal gehen die Bilder ineinander über, eine Struktur setzt sich fort, ein Farbton. Ich entdecke verschiedene Zonen auf dem Vorhang, verschiedene Zentren.
 
Und eine weitere Wahrnehmung.
400 Blatt Papier sind in ein Raster gefügt, ein Gitternetz liegt über den Farben, Formen und Strukturen. Dieses Raster setzt sich fort in der Bleiverglasung der Kirchenfenster und in der Anordnung der Stühle im Kirchenraum. Leben im Raster, die Bilder treten zurück hinter dem Raster der Fugen, der Stöße.
 
 
Passionszeit – Zeit, um die Raster und Stöße wahrzunehmen, die unser Leben durchziehen, zusammenhalten und zerschneiden. Raster aber auch, durch die Gottes Licht in unser Leben fallen kann.
 
 
Adam Noack sagt zum Konzept seiner erweiterten Malerei:
 
„Ich will mit meiner Arbeit den Betrachter treffen. Es kann ein Dialog zwischen seinen subjektiven Gedanken und Empfinden und der Beschaffenheit des Bildes entstehen. Der Betrachter projiziert seinen eigene Fantasie und Gefühle selbständig in die offen und breit gefächerten Farbräume. Es entwickelt sich ein eigenes kreatives Potenzial während des Betrachtens. Das Bild soll diesen Prozess anstoßen, beleben, grundlegend möglich machen. Es soll nicht lenken noch kontrollieren oder vorgeben. Es soll Projektionsfläche sein für das, was jeden einzelnen beschäftigt. Es holt Gedanken, Empfindungen, Themen aus den Tiefen des Unterbewusstseins hervor und setzt sie frei.“
 
Die Weimarer Malerin Ulrike Theusner beschreibt das Grundgefühl einer „Gesellschaft in Schnappatmung“ folgendermaßen:
 
„In ständigen Widersprüchen zwischen generierten Bedürfnissen und wahrer Dringlichkeit, Leistungsdruck und Antriebslosigkeit, Freiheit- und Sicherheitsstreben, 
Überinformation und Unwissen, Lust und Unlust bauen sich unaufhaltsam Spannungen auf.“ 
„Man will hoch hinaus und weit weg und bewegt sich doch nicht von der Stelle. Die Menschen erleben sich beziehungslos. In sich selbst gefangen, unfähig zu lieben, verrenkt im Wunsch nach echter Zuwendung und Verständnis.“
 

Passionszeit - Zeit für die Verhüllung, die Verschiebung der Distanzen. Zeit für die Wahrnehmung der Verborgenheit des Lichtes.

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